Tagungsnachlese zur Windenergietagung 2023

Am 23.03.2023 fand die diesjährige DFMRS-Windenergietagung im Haus Schütting im Bremen statt.

Thema der Tagung

Die Bundesregierung hat ehrgeizige Ausbaupläne für die Windenergie. An Land wie auch auf hoher See sollen viele neue Windparks entstehen. Die Lebensdauer der Anlagen sowie deren Windausbeute ist in erster Linie vom optimalen Betrieb abhängig.

Ein wettbewerbsfähiger, nachhaltiger und effizienter Betrieb der Windparks ist erst dann möglich, wenn Hersteller, Betreiber und Serviceunternehmen wie auch Versicherungen und technische Überwachungsdienste an einem Strang ziehen. Aktuellen Statistiken zufolge, laufen circa 60% aller Windenergieanlagen nicht optimal bzw. suboptimal. Das führt gesamtheitlich betrachtet zu einem hohen Verlust an Energie, was angesichts des steigenden Bedarfs von Elektrizität widersinnig ist.

Verantwortlich für dieses Phänomen sind Partikularinteressen aller Beteiligten. Projektentwickler wählen die günstigsten Anlagentypen aus. Hersteller wollen ihre Anlagen verkaufen. Betreiber sind am störungsfreien Betrieb interessiert. Serviceunternehmen folgen den Herstellerrichtlinien und setzen auf wiederkehrende Instandsetzungsarbeiten, Reparaturen und Prüfungen. Versicherungsunternehmen sind an Schadensneutralität interessiert, während technische Überwachungsdienste den Betrieb regelmäßig überprüfen und die uneingeschränkte Funktionstüchtigkeit von Bauteilen inspizieren.

Während sich die Windenergietagung der Deutschen Forschungsvereinigung für Mess-, Regelungs- und Systemtechnik e.V. in Kooperation mit der Bundesanstalt für Materialforschung und-prüfung vordergründig mit wissenschaftlichen Fragestellungen zur Messtechnik bei Windenergieanlagen beschäftigte, wurde schnell deutlich, dass die Frage eines effizienten Betriebs von Windenergieanlagen für Betreiber keineswegs an erster Stelle seiner/ihrer Aufmerksamkeit steht.

Die Tagung widmete sich dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Thema Messtechnik. Wie wichtig Messtechnik und weitere Verfahren zur Datenerfassung, -bearbeitung und -analyse sind, wurde schnell deutlich. Nur durch exakte Messungen lassen sich Windenergieanlagen effizient betreiben. Effizienz ohne Messungen ist nicht darstellbar.

Das Symposium fokussierte sich daher auf die Bewertung aerodynamischer Zustände, die Erfassung geometrischer Merkmale sowie die Erkennung von Schäden an im Betrieb befindlichen Windenergieanlagen.

Inhalte und Erkenntnisse aus den Vorträgen

Tagungsraum mit Beamer bei der Eröffnung der Tagung von Dennis Kruse

In seiner Einführung machte Dennis Kruse von der Deutschen WindGuard deutlich, was auf die Branche in den nächsten Jahren zukommt. Er stellte die aktuellen offiziellen Ausbauziele an Land wie auf hoher See vor, erläuterte die Entwicklung der Anlagenkonfiguration in den letzten drei Jahrzehnten und beschrieb die damit einhergehenden technischen Herausforderungen, beim Bau, der Errichtung und dem Betrieb der immer leistungsstärker werdenden Anlagen.

Die größte Ausbaudynamik ist im Offshore-Bereich. Bis zum Jahr 2045 soll 70 GW von Anlagen in Nord- und Ostsee produziert werden. „Um diese Ausbauziele zu erreichen, muss u.a. die Effizienz in allen Lebensphasen der Windenergieanlagen gesteigert werden. Dies wirkt sich insbesondere auf Betrieb, Wartung und Inspektion aus“, so Kruse bei seiner Begrüßung der Tagungsteilnehmer.

Michael Stamm (BAM, Berlin) erläuterte, warum es naheliegend war, diese Tagung mit der DFMRS gemeinsam auszurichten, weshalb die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung ein dezidiertes Interesse an einer technisch erfolgreichen Umsetzung der Energiewende hat und warum die Zusammenarbeit zwischen Behörde und Industrie bei Forschung wie auch Herstellung und Betrieb von Windenergieanlagen wichtig ist.

Stamm verwies auf die zwingende Notwendigkeit hin, den Technologietransfer aus wissenschaftlicher und industriebetriebener Forschung weiterauszubauen, Daten auszutauschen und Erkenntnisse aus Materialanomalien auswerten und deren Ursache beheben.

In seinen Ausführungen unter dem Titel „Mit Laser gegen Lasten“ erläuterte J. Dietrich Mayer (WindComp GmbH, Berlin) warum Ungenauigkeiten in der Blattwinkeleinstellung und massenerregte Unwuchten die Leistungsfähigkeit reduzieren und den Betrieb der Windenergieanlagen belasten. Wie stark die Abweichungen zu Buche schlagen, kann durch eine dynamische Lasermessung der Rotorgeometrie im laufenden Betrieb festgestellt werden. Das von WindComp entwickelte Lasermessverfahren ROMEG liefert relevante Informationen über Abweichungen beim Pitchwinkel und das Schwingungsverhalten des Turms. Abnormale Belastungszustände führen in der Regel zu frühzeitigem Verschleiß. Das Lasermessverfahren ROMEG nutzt modernste digitale Signalverarbeitung und ermöglicht eine präzise Entfernungsmessung für komplexe Situationen auch bei schlechten Sichtverhältnissen. Die Messung mit kurzen Infrarot-Laserpulse kann nahezu auf jeder Oberfläche erfolgen, unabhängig vom Einfallswinkel des Strahls und den Oberflächeneigenschaften. Die Hauptfunktion des Messverfahrens ist die Messung der relativen Blattwinkelabweichungen.

Auf Grundlage von 3.500 Messungen laufen 60 Prozent der Anlagen mit einer fehlerhaften Einstellung des Pitchwinkels. Bei 20 Prozent besteht dringender Handlungsbedarf; bei 40 Prozent sind Nachjustierungen erforderlich. Nur 40 Prozent aller geprüften Anlagen verfügen über eine korrekte Einstellung des Pitchwinkels. Mayer machte deutlich, dass die Leistung von Windenergieanlagen aus dem letzten Drittel geschöpft wird. Jeder Einstellungsfehler, jede Unwucht und Oberflächenschäden auf den Rotorblättern mindert die Windausbeute. Nur durch Messungen bei der Inbetriebnahme lassen sich Anlagen optimal einstellen, was allerdings größtenteils weder vom Hersteller noch vom Betreiber veranlasst wird.

Den Stand der aktuellen Forschung hinsichtlich „Laseroptischer Messverfahren zur Analyse geometrischer Kennwerte an Windenergieanlagen“ erläuterte Axel v. Freyberg (BIMAQ, Universität Bremen). Zur Messung geometrischer Größen an im Betrieb befindlichen Windenergieanlagen wird ein auf dem Laufzeitverfahren basierender Laserscanner hinsichtlich seiner Messunsicherheit theoretisch, simulativ und experimentell charakterisiert. Die Vorteile des Systems liegen darin, dass weder die Windenergieanlage modifiziert werden muss, noch das Messsystem SCADA‐Daten benötigt. Messgrößen sind beispielsweise Pitchwinkel (‐unterschiede) der einzelnen Rotorblätter, sowie deren Schwingungsamplituden und der Turmfreigang.

Ebenso theoretischer Natur waren die Ausführungen von Martina Göring von der Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth. Sie referierte über die Entwicklung eines fächerartigen Distanzmesssystems zur Vermessung bewegter Rotorblätter. Danach bietet sich für eine markierungsfreie und berührungslose Vermessung der Verformung der Rotorblätter im laufenden Betrieb die Photogrammetrie und Lasermesstechnik an. Mit dem Schwerpunkt der Torsionsmessung wurde das fächerartige Distanzmesssystem entwickelt. Das System ermöglicht die Erfassung mit der erforderlichen Präzision durch den Einsatz von vier Distanzmesseinheiten, die im Objektraum eine Ebene aufspannen. In Kombination mit der Photogrammetrie können die Verformungsparameter abgeleitet werden.

Über die Detektion von inneren Rotorblattschäden mit passiver Thermografie berichtet Michael Stamm von der Bundesanstalt für Materialforschung und ‐prüfung. Die BAM beschäftigt sich derzeit in zwei Forschungsvorhaben mit der Inspektion von Rotorblättern mittels passiver Thermografie. Durch die Verknüpfung von Simulationen und Messungen sowie einen semi‐automatischen Messaufbau soll das System industrietauglich gemacht werden. Der Fokus der aktuellen Arbeiten liegt dabei auf der Detektion von inneren Rotorblattschäden. Dafür werden sowohl bodenbasierte Thermografie im Betrieb als auch Messungen von einer Drohne in Betracht gezogen. Herr Stamm wies darauf hin, welche Bedeutung die Sonneneinstrahlung bei der Messung hat. Wenn Sonneneinstrahlung und natürliche Temperaturschwankungen genutzt werden, können auch unbeheizte große Strukturen mit passiver Thermographie untersucht werden. Durch die passive Thermographie eines Rotorblatts können interne Strukturen erkannt werden. Neben einer bodenbasierten Thermographie werden Untersuchungen zur Entwicklung von drohnenbasierten Messsystems zur multisensorischen, bildgebende Inspektion von Rotorblättern von Windenergieanlagen vorangetrieben. Das Verbundvorhaben WISP, WIndkraftanlagen InSPektion besteht auf drei Elementen: Erstens der Entwicklung eines Drohnenprototyps einschließlich Kamerasystem, 3D Laser, IR und IMU. Zweitens die Datenfusion sowie drittens die Aufbereitung der Inspektionsdaten einschließlich der Feldmessung und Korrelationsstudie. Bislang hat ein bodengestütztes Messsystem zumindest im Hinblick auf die Inspektionsdauer und den organisatorischen Aufwand gegenüber eines Drohnenflugs zeitliche Vorteile.

Wie Künstliche Intelligenz die Inspektionsdauer von Windkraftanlagen beeinflusst und deren Leistungsfähigkeit steigert, erläuterte Thomas Driebe von LATODA. Er sprach zum Thema: „Automatisierte Erkennung von Erosionsschäden auf thermographischen Inspektionsbildern von Rotorblättern durch Künstliche Intelligenz.“ LATODA hat in Zusammenarbeit mit der BAM über 1.000 Thermographie ausgewertet, um damit einen Algorithmus zu schulen. Thermografische Inspektionsaufnahmen von Rotorblättern machen Strömungsveränderungen an der Rotorblattoberfläche sichtbar. So können frühzeitig Erosionsschäden festgestellt werden sichtbar. Die Analyse dieser Spezialbilder ist komplex. Künstliche Intelligenz kann auf jeden Fall die Bewertung von Anomalien automatisieren. Diese neuartige Inspektionsmethode steht kurz vor der Markteinführung. Vor dem Hintergrund der Ausbaupläne, dem steigenden Energiebedarf und dem eklatanten Mangel an Fachpersonal kommt der Automatisierung der Auswertung von Inspektionsdaten eine große Bedeutung zu, um vor größeren Beschädigungen an den Rotorblättern rechtzeitig Instandsetzungsarbeiten in die Wege zu leiten.

Ilja Kaufmann (Fraunhofer IOSB, Ettlingen) berichtete über Forschungen über „Optische Verfahren zur distanten Untersuchung von WEA‐Rotorblättern im laufenden Betrieb“. Das vorgestellte Systemkonzept besteht aus Schwingungsmessungen per Laser-Doppler-Vibrometer, einem Kamerabasierten Tracking des Rotors und der Lasernachführung mit Schwenk-Neige-Kopf. Wie bei anderen Messverfahren auch müssen keine besonderen Vorkehrungen an der Anlage vorgenommen werden. Die Messungen können aus einer Distanz von 150 bis 500m im regulären Betrieb erfolgen. Ziel des Messkonzepts ist die Anlagenbewertung, eine Schadendetektion, und die Verifikation von Simulationsmodellen. Zusätzlich können Geräuschquellen identifiziert und die Einstellung der Rotorblätter optimiert werden. Das entwickelte mobile Messsystem passt in einen Autoanhänger. Die bisherigen Erfahrungen sind vielversprechend. Derzeit wird an der Auswertung der gesammelten Daten gearbeitet. Zudem soll das Tracking durch den Einbau einer visuellen Kamera erweitert werden. Dadurch wird eine verbesserte Blattspitzendetektion in schwierigen Lichtverhältnissen möglich.

Holger Nawrocki (Nawrocki Alpin GmbH) stellte ROMOTIONCAM vor, ein bereits bewährtes Messsystem, das auch bei hohen Windgeschwindigkeiten und Rotordrehzahlen von bis zu 25U/min einsetzbar ist. Das Verfahren ermöglicht, die Rotorblätter unter Spannung zu inspizieren. Zudem ist eine 360 Grad Abbildung des Rotorblatts möglich, da es aus sechs verschiedenen Perspektiven aufgenommen werden kann. Mit dem Damage Assessment Reporting Tool (DART) stehen die hochauflösenden Bilddaten für eine weitere Analyse zur Verfügung. So ist ein Vergleich von Blattinspektionen einzelner Blätter zum Vorjahr möglich. Das bodengestützte System ist in der Lage, Schäden zu markieren und bietet weiterführende Informationen zur Art des Schadens, eine Klassifizierung des Schweregrads und Reparaturempfehlungen. Derzeit laufen die Planungen zur Anpassung des Systems für den Offshore-Einsatz.

Welche Anforderungen bei drohnenbasierten Inspektionen erfüllt werden müssen, erläuterte Christian Kaiser (Copting GmbH, Braunschweig). Er sprach über den Einsatz unbemannter Flugsysteme und erläutere die technischen Spezifikationen, die zur Befliegung von Windenergieanlagen auf hoher See erforderlich sind. Auf die betriebsspezifischen Besonderheiten von Drohnen, deren Nutzlast sowie Stromversorgung ging er besonders ein, da sie Einsatzszenarios vielfach technische, physikalische und logistische Herausforderungen mit sich bringen. Im Offshore Einsatz sind Hybrid-Drohnen eine gute Alternative zu rein-elektrisch betriebenen Drohnen. Sie haben eine längere Einsatzzeit und verfügen über in der Regel über eine deutlich höhere payload.

Wie Drohnen bei den regelmäßigen Überprüfungen des Blitzschutzes in Rotorblättern zum Einsatz kommen können und welche Erfahrungen die Deutsche WindGuard Inspection GmbH gemacht hat, berichtete Gerhard Jansen. Eine berührungslose Blitzschutzmessung stellt eine besondere Herausforderung dar. Die Bildschutzprüfung ist in der DIN EN 61400-24 festgelegt. Kapitel 12 beinhaltet die Technische Richtlinie zur Prüfung der Blitzschutzanlage an WEA. Danach ist das Ziel der Messung, der Nachweis des Durchgangs und nicht die Bestimmung eines bestimmten Wertes. Ist ein Durchgang nicht feststellbar, liegt ein eindeutiger Fehler vor. WindGuard nutzt ein Verfahren, das auf der nicht-invasiven Einspeisung eines elektromagnetischen Feldes in die Blitzschutzanlage basiert, welches der an der Drohne montierte 3D-Feldsensor während des Abflugs der Rotorblätter misst. Durch dieses Messverfahren und mathematisch-algorithmischer Verarbeitung der erhobenen Felddaten lässt sich die Funktionsfähigkeit der Blitzschutzanlage schnell und effizient feststellen. Die auf künstlicher Intelligenz basierende Steuerungssoftware berechnet zunächst die exakte Flugroute, auf der die Drohne die abgebremste Windenergieanlage im Anschluss autonom abfliegt, um die erforderlichen Messungen vorzunehmen. Der Einsatz von Drohnen bedeutet eine ganz erhebliche Zeitersparnis im Vergleich zur deutlich aufwändigeren und körperlich anstrengenden Inspektion in Seilzugangstechnik.